Last updated on 22. Juni 2022
von Rebecca Jung
Noch dazu, wenn der- oder diejenige gar keinen Dank möchte? Aber ich muss mich doch bedanken?
…Oder?
Ich wurde mit einer seltenen Stoffwechselkrankheit, einer Glycogenose 1a geboren. Nach 13 Jahren war mein Stoffwechsel so entgleist, dass ich mich nicht mehr normal entwickelte. In einer Lebertransplantation sahen wir meine einzige Chance.
Aber es ging mir nicht schlecht genug, um eine Chance auf der Warteliste zu haben. Ich würde Jahre lang darauf warten müssen, dass sich mein Gesundheitszustand drastisch verschlechterte und das Zeitfenster, in dem ich wachsen und mich wie andere Jugendliche entwickeln könnte wäre vorbei. Daher kam nur eine Lebendspende in Frage.
Die Leber ist ein erstaunliches Organ, welches, wenn man es zu einer kleineren Größe schneidet, wieder auf seine ursprüngliche Größe heranwächst. Deswegen kann ein Teil einer gesunden Leber entnommen und bei einem kranken Menschen eingepflanzt werden. Das ist besonders bei Kindern ein oft gewählter Weg, da man für kleine Körper nur ein kleines Stück Leber braucht und das Risiko für die Spender*innen nicht so groß ist.
Ein Risiko ist aber immer da. Es ist eine merkwürdige Situation. Man hat einen gesunden Menschen, den man operiert, mit dem Wissen, dass es ihm danach schlechter gehen wird als zuvor. Eigentlich das Gegenteil vom Ziel der Medizin
Mein Vater spendete mir trotzdem einen Teil seiner Leber und ich war plötzlich gesund. Er hatte mir das größtmögliche Geschenk gemacht. Etwas, das ich nie zurückgeben könnte.
Doch irgendwann fragte ich mich: Was, wenn er nein gesagt hätte? Es wird von Eltern erwartet, dass sie alles für ihr Kind machen, doch wo ist die persönliche Grenze? Hat nicht jeder Mensch ein Grundrecht auf körperliche und seelische Unversehrtheit? Wird das ausgehebelt, sobald man ein Kind bekommt? Auf jeden Fall wäre von allen Seiten die Frage gestellt worden, warum er es nicht getan hätte, wenn er sein Kind damit hätte retten können. Doch mein Papa versicherte mir, dass er es gern gemacht hat. Obwohl er jetzt eine große Narbe hat und obwohl er seit der Operation weniger Kraft hat und unter ständigem Juckreiz leidet. Und ich bin ihm sehr dankbar dafür.
Doch immer, wenn ich wegen irgendetwas auf ihn sauer war, kam in mir der Gedanke auf: „Darf ich sauer auf ihn sein? Er hat jetzt einen Fehler gemacht, aber er hat auch diese unendlich große Sache für mich gemacht.“ Es waren viele Gefühle, die miteinander in Konkurrenz standen. Dankbarkeit für seine Selbstlosigkeit, Freude über das neue Leben und eine ständige Last, da ich nichts tun wollte, was undankbar wäre, in dem ich mich meiner neuen Leber gegenüber verantwortungslos verhielt. Leider verlor ich die Leber dennoch nach nur drei Jahren. Mein Körper nahm das Organ nicht gut an und obwohl ich alles richtig gemacht hatte, musste ich erneut transplantiert werden. Ich war am Boden zerstört und gab mir selbst die Schuld. Es hat lange gedauert, bis ich bereit war zu akzeptieren, dass solche Dinge ohne die Schuld von jemandem passieren können und ich nur hoffen konnte, erneut großes Glück zu haben.
Diesmal führte der Weg über die Liste. Ich war deutlich kränker und die Situation ernster. Doch ein ganzes Jahr lang wartete ich ohne den lebensrettenden Anruf zu bekommen. Verzweifelt versuchten wir vielleicht noch einen weiteren Spender in der Familie zu finden, aber mein Papa hatte schon gespendet und bei den anderen sprachen andere Gründe dagegen. Bis mein Onkel auf mich zukam und sagte: „Rebecca, pass auf, ich lass mich jetzt testen und wenn das passt, dann machen wir das.“ Und wirklich: es passte alles.
Schon wieder hatte sich jemand dazu entschieden, mir auf seine Kosten das Leben zu retten.
Die zweite Transplantation fühlte sich anders an. Ich war nun sechzehn und nahm alles viel bewusster wahr. Ich wusste, was auf mich zu kam und was alles passieren konnte. Am Abend vor der Operation führten mein Onkel und ich ein langes Gespräch. Er erklärte mir noch einmal, dass er das gern für mich tat und dafür keine Dankbarkeit erwartete. Es sollte nichts an unserer Beziehung ändern. Ich wusste, dass das unmöglich war, doch nickte nur, ich wollte ihm nicht widersprechen. Bereits im Vorfeld hatten wir vor einer Ethikkommision bestätigen müssen, dass wir eine enge Beziehung hatten und es keinerlei finanzielle oder materielle Anreize gab, sondern die Spende ein reiner Akt der Nächstenliebe war.
Dank diesem Akt der Nächstenliebe bin ich jetzt 25 Jahre alt. Ich bin so gesund wie noch nie, habe einen wundervollen Partner, ein sicheres Zuhause, einen erfüllenden Job. Vielleicht eines Tages eine eigene Familie. Nichts davon hätte es ohne diese Organspende gegeben. Es hat nicht nur mein Leben verändert, sondern auch das meines Partners, unserer zukünftigen Familie. Ohne meinen Onkel hätte mein Leben wahrscheinlich mit 16 geendet. Wie könnte das nichts an unsere Beziehung verändern? Wir stehen uns näher und haben öfter Kontakt. Unsere Gesundheit ist regelmäßig das Gesprächsthema der Familie. Einmal im Jahr fahren mein Vater, mein Onkel und ich in die Klinik für die Kontrolluntersuchungen und machen jedes Jahr einen Ausflug daraus. Das hätte es ohne die Transplantationen so nicht gegeben. Ich werde den beiden für immer dankbar sein und die Erfahrung der Transplantation wird uns auch für immer verbinden.
Vor einigen Jahren ist mein Onkel selbst Vater geworden und eines Tages sagte er zu mir, dass er es jetzt nicht noch einmal machen würde. Denn er hat eine Verpflichtung gegenüber seiner Tochter, für sie da zu sein und sich nicht absichtlich in Gefahr zu bringen.
… Oder?
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